Mount Everest: Der höchste Berg lockt weiter
Eintrag vom 22.03.2015
So, 22.03.2015 Tiroler Tageszeitung
Mount Everest: Der höchste Berg lockt weiter
Im Jahr eins nach der Eislawinen-Tragödie mit 16 Toten ist am Mount Everest noch vieles im Unklaren. Eines zeichnet sich aber bereits ab: Die Nordroute auf den höchsten Berg der Welt wird zur verlockenden Alternative für Bergsteiger – auch Tiroler.
Alois Fuchs ist aufgeregt. „Einen Monat vor dem Abflug kommen langsam das Kribbeln und die Gedanken, was man noch alles erledigen möchte bzw. zu erledigen hat“ ist auf seiner Homepage zu lesen. Denn der Countdown läuft. Am 7. April wird der Baumeister aus der Wildschönau einmal mehr Richtung Mount Everest abheben. Um den 20. Mai will er am höchsten Gipfel der Welt stehen – so Gott will und es die Gesundheit zulässt. Im Vorjahr machte Fuchs (53) nämlich eine Rippfellentzündung einen Strich durch die Rechnung. „Ich bin nicht hinaufgekommen“, erzählt er und man glaubt herauszuhören, dass ihn das noch immer schmerzt.
2014. Das Jahr, in dem viele andere Bergsteiger ihren Wunsch, den Everest zu besteigen, ebenfalls nicht verwirklichen konnten. Am 18. April – dem Karfreitag – tötet eine Eislawine im Khumbu-Gletscher auf der Südseite des Berges 16 Sherpas. Die Saison findet ein abruptes Ende. Geschätzte 300 im Basislager wartende Alpinisten müssen wieder heimkehren. Die überlebenden Sherpas hatten sich geweigert, weiter ihre Arbeiten zu verrichten, aus Respekt gegenüber den toten Verwandten, Freunden, Kollegen. Die Everest-Geschichte ist um ein tragisches Kapitel reicher. Titel: Das bislang schlimmste Unglück am höchsten Berg der Welt.
Zwei Jahre zuvor war der Innsbrucker Josef Einwaller auf der Südroute zum Everest aufgestiegen. „Ich hatte schon damals im Khumbu-Eisbruch Angst“, berichtet er. Rund 700 Höhenmeter sind hier von den Bergsteigern zu bewältigen – allerdings quer durch gebrochenes, sich meterhoch auftürmendes Gletschereis.
Alljährlich vor Beginn der Saison bereiten die Sherpas diese heikle Passage vor. Die so genannten Icefall-Doctors bauen Wege, bringen Leitern an und verlegen Seile. Rund einen Meter bewegt sich der Gletscher am Tag weiter, ständig ist man von Lawinen und ausbrechenden, riesigen Eisblöcken bedroht.
Der Khumbu-Eisbruch ist ein Grund dafür, warum die Route auf den Everest auf der nepalesischen Südseite gefährlicher ist als die Nordroute von tibetisch-chinesischer Seite aus – zumindest, was die objektiven alpinen Gefahren betrifft. Und trotzdem zieht es das Gros der Bergsteiger alljährlich über diese Variante auf den 8850-Meter-Gipfel. „Die politische Lage in Tibet ist vielen Everest-Anbietern zu unsicher“, nennt Kari Kobler einen Grund dafür.
Der Schweizer lässt sich davon allerdings nicht einschüchtern.Seit vielen Jahren versucht er, seinen Gästen den Traum vom höchsten Berg der Welt zu erfüllen. Von vierzehn Expeditionen, die er bislang angeboten hat, starteten drei auf der Südseite des Everest, elf auf der Nordseite. „Technisch gesehen ist die Route von Norden her nicht wirklich eine Hexerei. Im letzten Abschnitt sind nur ein paar Stellen im Dreier-Gelände zu bewältigen, die Felsstufe Second Step wurde durch eine Leiter entschärft.“
Fünfmal stand Kobler selbst am Gipfel: Er weiß also, wovon er spricht, hat viele Kontakte bis in höchste Kreise vor Ort. Am 5. April wird er mit 18 Bergsteigern aus der ganzen Welt erneut zum Everest starten – darunter auch der Wildschönauer Alois Fuchs. „Das sind so viele wie noch nie zuvor“, sagt Kobler. Dass die Nordroute angesichts der Vorkommnisse in Nepal an Bedeutung gewinnen könnte, zeigen auch die Zahlen. 2013 versuchten es laut Kobler geschätzte 100 Bergsteiger über diese Variante auf den Gipfel, 2014 waren es 60. 2015 wollen es allerdings an die 150 versuchen, darunter auch der blinde Tristacher Andy Holzer. 300 könnten es auf der Südseite sein.
In Nepal fiel erst am Freitag eine wichtige Entscheidung: Auf den letzten Drücker erteilte die Regierung jene Genehmigungen für den Aufstieg, die im Vorjahr nach dem Unglück mit dem Abbruch der Saison null und nichtig geworden waren. Die Genehmigungen wurden um fünf Jahre verlängert. Allerdings muss jeder Bergsteiger noch einmal 1000 US-Dollar zahlen, weil die Gebühren für Expeditionen in diesem Jahr von 10.000 auf 11.000 US-Dollar angehoben worden sind.
Eine neue, angeblich sicherere Route durch den Khumbu-Eisbruch gibt es aber schon. „Diese befindet sich im rechten Teil, ist jedoch steiler und somit schwerer zu bewältigen“, weiß Josef Einwaller. Der Innsbrucker hat die neuesten Meldungen von seinem Freund Phurba Tenzing, einem Sherpa, mit dem er immer wieder auf den höchsten Bergen der Welt unterwegs ist. Phurba Tenzing verlor 2014 bei dem Unglück am Everest drei Cousins, die Familie legte ihm daraufhin nahe, nicht mehr auf den Berg zu gehen. „Doch die Sherpas brauchen dieses Geld“, erzählt Einwaller. Und so wird Phurba Tenzing auch heuer wieder mit Bergsteigern in eisige Höhen vordringen.
Kurz vor Beginn der Saison sorgt aber noch eine weitere Meldung für Aufsehen. Das nepalesische Tourismusministerium will, dass Bergsteiger heuer nicht nur ihren Müll wieder vom Berg mit herunternehmen – sondern auch die Fäkalien. Mit Umweltproblemen wird argumentiert – weniger im Basislager, wo die Reste menschlicher Darmarbeit in Tanks gesammelt werden, als in höheren Lagen, wo Derartiges oft verbuddelt wird.
2015. Das Jahr, in dem sich viele für den Everest keine Negativ-Schlagzeilen wünschen. 2012 starben u. a. sechs Menschen, weil es am Hillary Step – einer 70 Meter hohen Felsstufe – zum Stau gekommen war. 2013 gab es eine wilde Schlägerei zwischen Sherpas und Bergsteigern. 2015 will Alois Fuchs endlich auf dem Gipfel stehen. Es wäre ein schönes Geburtstagsgeschenk, am 23. Mai wird er 54 Jahre alt. (Irene Rapp)